"Bevor man selbst zum Tier wird": Rinderforum untersucht Spagat zwischen Familie und Betrieb in der Milchviehhaltung

Das Verständnis für ihre Vierbeiner konnten die Besucher in Mosbach interaktiv an Praxisbeispielen testen. zum Vergrößern ins Bild klicken (Foto: RKW Kehl)
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Gegenseitiges Verständnis ist nicht nur keine schlechte Voraussetzung für Beziehungen, sondern schlicht eine Notwendigkeit. Das 9. und 10. Rinderforum in Donaueschingen und Mosbach beschäftigte sich mit der Frage, wie Milchviehhalter die Signale von Mensch und Tier richtig deuten und den ständigen Spagat zwischen Familie und Betrieb bewältigen können.

Am Ende mündete die diesjährige Fachtagung des RKW Kehl für Milchviehhalter in eine Frage, die in der Landwirtschaft viel zu selten gestellt wird: Wie halte ich als Mensch das eigentlich alles aus, ohne selbst zum Tier zu werden? Rund dreihundert Fachbesucher an den zwei Veranstaltungsterminen in Donaueschingen und Mosbach waren begeistert.

"Wir beschäftigen uns mit den Tieren, seitdem es das Rinderforum gibt", sagte RKW-Geschäftsführer Bernhard Stoll. "Aber der Mensch ist ja auch noch da." Es gehe vor allem darum, zu beobachten und zu fühlen, bewusst wahrzunehmen und dann daraus zu lernen. "Wir möchten keine vorgefertigten Lösungen, sondern wir wollen die richtigen Fragen stellen", meinte Stoll.

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Früher hätten die Landwirte viel mehr Zeit mit den Tieren verbringen müssen, weil vieles noch in Handarbeit gemacht wurde. Bei den Betriebsgrößen und dem Technisierungsgrad sei das heute oft kaum noch erforderlich oder möglich. Die Gefahr sei groß, dass hier das Gespür füreinander verloren ginge.

Interaktive Achtsamkeit

In Achtsamkeit und Verständnis konnte sich das Publikum bei der Mosbacher Veranstaltung gleich üben dank einer interaktiven Voting-Software. Die Besucher bekamen Bilder von Stallszenen zu sehen und konnten über eine App mobil abstimmen, ob und wenn ja welche Alarmsignale auf dem Bild zu erkennen seien. Die Resultate zeigten: Vorgefertigte Lösungen gibt es nicht, sondern es gilt, die richtigen Fragen zu stellen.

Ob "Männerversteher" oder "Frauenversteher" sei nicht die Frage, meinten die Referenten Julia Schmautz und Stefan Mühlenstädt in Anspielung auf ein umstrittenes Kampagnenmotto des Bayerischen Bauernverbandes. Verständnis brauchten alle für jeden. Es komme vor allem darauf an, sich Zeit zu nehmen, genau hinzusehen und dann zu handeln.

Auch der Mensch braucht Achtsamkeit

Neben vielen möglichen Indikatoren, Alarmsignalen und Lösungen rund um das Stall- und Herdenmanagement stand das zentrale Thema im Vordergrund: Wo bleibt der Mensch in einer Branche mit vielen Familienbetrieben, in der Arbeitsplatz und Privatsphäre oft fast identisch sind? Die Referenten Angelika Sigel und Rolf Brauch wussten bei beiden Veranstaltungen aus ihrer familienberaterischen und seelsorgerischen Tätigkeit leider viele Beispiele zu berichten von Familien, die mit dieser großen Nähe nicht zurechtkommen.

"Heute ging es viel um Achtsamkeit für die Tiere", sagte Rolf Brauch in Mosbach. "Wir brauchen aber auch Achtsamkeit im Umgang mit Menschen, also mit uns selbst." Beide Referenten versuchten zu zeigen, dass zum beruflichen Erfolg und zum privaten Glück eine klare Trennung zwischen beiden Bereichen gehört.

Familie und Betrieb sollten zwei getrennte Welten bleiben

"Familie und Betrieb sind zwei grundlegend verschiedene System, die dementsprechen auch grundverschiedene Lösungen brauchen", sagte Brauch. Die Familie brauche das Menschliche, der Job die Effizienz. Wer es nicht schaffe, beides sauber zu trennen, der setze die Famile dem Chaos aus und den Betrieb dem Ruin.

"Der Spagat zwischen Familien und Betrieb bedeutet heute: Man muss zum Profi in beiden Systemen werden. Die Erfolgreichen sind nicht unbedingt glücklich, aber die Glücklichen sind immer erfolgreich." Wenn die Kühe satt sind und der Landwirt zufrieden sind, dann sei der Spagat geglückt, meinte Brauch.

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